Die romantische Straße –
Eine Ferienstraße, die verbindet: Träume und Tourismus. Kultur und Kontinente.
Im Gespräch mit Chefromantiker Jürgen Wünschenmeyer
Ein Dreiklang von Natur, Kultur und Gastlichkeit ist seit 1950 ihr Markenzeichen. Die Romantische Straße ist DIE bekannteste und beliebteste Ferienstraße Deutschlands, Vorzeige-Visitenkarte des Deutschlandtourismus. Sie verbindet vieles: Den Main mit den Alpen. Sehenswürdigkeiten und Sehnsüchte. Gastgeber und Gäste. Aktivurlauber und Kulturliebhaber. Deutschland mit der Welt.
Ihr Name: Ein Versprechen.
Allein er vermag es bereits auszudrücken, was jährlich rund 6 Millionen Gäste aus Nah und Fern auf ganzer Strecke erleben: puren Genuss und echte Gefühlstiefe. In insgesamt 29 Sehnsuchtsorten, die sich wie eine Perlenkette knapp 400 Kilometer lang aneinanderreihen. Jeder Ort ist ein besonderes Schmuckstück. Weltbekannte Sehenswürdigkeiten wie Schloss Neuschwanstein dekorieren Sie genauso wie Burgen und Klöster, wildromantische Flusstäler, malerische Weinlandschaften und charmante Fachwerkstädtchen. Auch kulinarisch wird auf ihr vielfältig garniert: Ob Bocksbeutel oder Bier, Bratwurst oder Kässpatzen. Die Romantische Straße ist sprichwörtlich in aller Munde.
Wir führten unser Markengespräch am Tag vor dem Heiligen Abend. Leider nicht in Rothenburg ob der Tauber, wo Weihachten bekanntlich das ganze Jahr zu Hause ist, und auch nicht im schmucken Dinkelsbühl, das mit seinen Fachwerkhäusern zu den zu den schönsten Städten Deutschlands gehört und Wohn- und Arbeitsort von Jürgen Wünschenmeyer ist. Denn Corona besitzt bekanntlich wenig Sinn für Romantik. Stattdessen tauschten wir uns virtuell aus. Von Bildschirm zu Bildschirm. Unsere Entfernung entspricht dabei in etwa der Streckenlänge unseres Gesprächsthemas: DIE ROMANTISCHE STRASSE.
Die touristische Marke ist seit Jahrzehnten ein wahrer Besuchermagnet und eine der bedeutendsten Visitenkarten des Deutschlandtourismus. Grund für mich, das Gespräch mit dem Mann zu suchen, der hinter der bekanntesten und erfolgreichsten Ferienstraße der Welt steht. Für den Romantik nicht nur, aber selbstverständlich auch Chefsache ist. Einem Weltenbummler, der selbst leidenschaftlicher Gastgeber für die ganze Welt ist und alles dafür tut, um seine „German Route 66“ immer noch bekannter zu machen.
Ob er selbst auch romantisch ist, wollte ich wissen. Auch, wo seine Haltestellen lagen, wie seine künftige Wegstrecke aussieht und wie er eine Ferienstraße erfolgreich mit Leben füllt. Ob es da auch ungeliebte Baustellen gibt, die das Reiseerlebnis trüben – und vieles mehr.
Bereits nach wenigen Minuten wurde mir schnell klar: ich habe es mit einem Touristiker der alten Schule zu tun. Einem sehr bodenständigen, tiefverwurzelten und unverblümten Menschen. Einem Kollegen, der Kameradschaft als echtes Kapital versteht. Einem Geschäftsführer, dem eine Kommunikation auf Augenhöhe stets wichtiger ist als eine dienstliche Anweisung. Einem Gastgeber, der die Herzen seiner Gäste am liebsten zum Klingen bringt – egal in welcher Sprache.
„Tourismus wird von Menschen für Menschen gemacht.“
Romantik ist hier seit jeher Männersache
Vier Männer, eine Vision: Die ersten Streckenkilometer
Wer hat`s erfunden? Keine Frau, wie man beim klangvollen Namen der Ferienstraße sofort vermuten könnte. Die Romantische Straße haben wir Männern zu verdanken. Ihre Gründerväter: Ein Bürgermeister-Quartett aus Augsburg, Dinkelsbühl, Rothenburg und Füssen. Was man heute als Destinationsmanagement oder Tourismusmarketing bezeichnen würde, war 1950 eine gemeinsame Vision und Mission: Die Entwicklung einer Ferienroute als Aushängeschild für ein neues, weltoffenes und friedvolles Deutschland. Fernab von Nazi-Terror und Trümmerbergen. Eine Urlaubsdestination, in der Romantikgarantie als Reiseanlass dient. Eine Ferienstraße, die Menschen verbindet.
Heute, über 70 Jahre später, hat sich daran nichts geändert. Und Romantik ist noch immer Chefsache.
Die Haltestellen des Chef-Romantikers
Die Romantische Straße faszinierte Jürgen Wünschenmeyer schon seit frühester Kindheit. Schließlich blickte er von der Apotheke seiner Eltern direkt auf eine ihrer Bushaltestellen. So schien es fast vom Schicksal vorbestimmt, dass er im Alter von 16 Jahren als Reiseleiter für die Deutsche Touring auf der Ferienstraße unterwegs war, bevor er sich seinen Herzenswunsch erfüllen konnte und selbst den Busführerschein machte. Ab diesem Zeitpunkt saß er dann selbst hinter dem Steuer eines Romantik-Liners und absolvierte parallel dazu ein Tourismusstudium.
Sein Zwischenstopp beim König
Aus seiner Abschlussarbeit wurde eine Einladung zum König. Selbstredend war sie der Romantischen Straße gewidmet aber auch dem bayerischen Monarchen Ludwig II., dessen romantische Prachtbauten Neuschwanstein und Hohenschwagau stets den krönenden Abschluss jedes Besuchs der Ferienstraße bilden.
Durch einen Zufall fiel seine Abschlussarbeit den Pionieren des Füssener Festspielhauses Ende der 90er in die Hand, was dazu führte, dass er seinen Busfahrersitz gegen einen Bürostuhl eintauschte und ab sofort unter der Adresse IM SEE 1 Vertriebschef für Zentraleuropa für ein Musical Namens „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ wurde.
Schnell begriff er, dass man mit Romantik auf einer Bühne dauerhaft nicht punkten kann. Jedoch mit einem romantischen Gesamtreisepaket schon. Durch eine Mitgliedschaft des Festspielhauses bei der Romantischen Straße setzte er eine bedeutende touristische Klammer. Doch diese Klammer sollte Dank Charlie Brown schon bald nochmals neu gesetzt werden.
… die Route wird neu berechnet
Charlie Brown: Name einer bekannten Comic-Figur und Pseudonym eines bekannten Busfahrers der Romantik-Liner. Letzterer sollte Jürgen Wünschenmeyers wichtigster Wegweiser werden. Nur durch dessen unermesslichen Drängens, hatte er sich auf die Nachfolge der Geschäftsführung der Ferienstraße aus dem Festspielhaus heraus beworben und ist seitdem seit 20 Jahren selbst Chef Romantiker, Markenmacher, Wächter und Missionar. Denn obwohl die Marke international etabliert und eine Größe des Deutschlandtourismus ist, so muss sie immer wieder aufs Neue in das Bewusstsein aller Akteure gebracht werden. Nicht alle kennen ihren kostbaren Wert. Nur wenige schätzen ihn. Viele unterschätzen ihn.
Ein Markenmacher mit tiefer Verwurzelung
Die Romantische Straße war und ist für Jürgen Wünschenmeyer vielmehr als ein touristisches Produkt, eine Marke oder Destination. Für ihn ist sie Heimat. Das Bewusstsein, dass sie überhaupt eine Marke ist, erlangte er erst am Tag ihrer Eintragung. Viele Monate nach seinem Dienstbeginn.
„Der Erfolg der Romantischen Straße ist, dass sie nicht nur eine Marke, sondern eine Destination ist, die fester Bestandteil im Deutschlandtourismus ist.“
Romantisch durch Vielfalt und Fülle
Die Herausforderung der Marke Romantische Straße ist, dass jeder Besucher eine komplett andere Vorstellung und Wahrnehmung von ihr hat. Für den einen ist es die mittelalterliche Stadtsilhouette, für den anderen die unberührte Flusslandschaft oder König Ludwigs Märchenschloss Neuschwanstein, das die ROMANTIK widerspiegelt. Nur die Angebotsvielfalt und Fülle schafft es, den romantischen Gemeingedanken für alle Gäste zu erfüllen.
„Wenn Sie kein GEN für Romantik haben, dann tun Sie sich auch in Dinkelsbühl schwer.“
Deutschlands Route 66: Ein Vorbild für Viele
„Es gibt über 150 Ferienstraßen. Nur wenige funktionieren. Die, die Gäste begeistern, schaffen es dadurch, dass Sie die Leitidee mit Leben füllen und sich alle beteiligten Akteure mit ihr auch identifizieren. Ein netter Name reicht da nicht.“
Für ihn ist die Romantische Straße das deutsche Pendant zur Route 66. Genauso bekannt, genauso begehrt. Als nach der Wende Ferienstraßen sprichwörtlich aus dem Boden geschossen sind, war die Konkurrenz plötzlich groß. Wirklich relevant jedoch nicht und kopiert wurde eben nur DIE EINE. Und das gleich mehrfach. Auf verschiedenen Kontinenten. Das erfüllt den Geschäftsführer mit Stolz. Für ihn ein Beweis, dass seine Marke das vermag, was nur Wenigen gelingt: sie verbindet. Staaten, Städte, Menschen. Die auf ihr zu Hause sind oder die sie besuchen.
Herzliches Gastgebertum: Eine Grundübung, keine große Kunst
Ich fragte ihn, welches Gästeklientel ein Chef-Romantiker denn eigentlich bevorzugt. Ob es die Innerdeutschen Urlauber oder die Gäste aus dem Ausland sind, die er lieber auf seiner Ferienstraße sieht. Seine Antwort: Beides und am liebsten viele.
Denn er selbst ist ein Gastgeber mit Herz. Von Welt. Für die Welt. Ein Touristiker, der ein herzliches und aufgeschlossenes Gastgebertum als Grundübung eines jedes Gastgebers und Leistungsträgers versteht.
Seiner Meinung nach erkennt man gute Gastgeber und Leistungsträger daran, dass diese auf die Bedürfnisse ihres Gästeklientels kennen, verstehen und auf diese auch eingehen. „Das Ziel für alle muss sein, nicht nur die Erwartungen der Gäste zu erfüllen, sondern diese zu toppen. Nicht monetär, sondern durch kleine oder auch größere Gesten, die dem Gast das Gefühl geben willkommen zu sein.“ Egal ob Bettenburg oder B&B, Weltsehenswürdigkeit oder Weitwanderführer: Gutes Gastgebertum muss man spüren. Egal wo. Egal durch wen.
Mit kleinem Besteck: durch ein freundliches Lächeln oder eine herzliche Begrüßung. Oder mit großem Gedeck: durch eine mehrsprachige Speisekarte, einem Willkommens-Geschenk oder Warmwasserautomaten für Urlauber aus Asien.
„Schließlich wird Tourismus von Menschen für Menschen gemacht und lebt von Emotionen.“
Strategie im Schulterschluss
Einen Verhaltenscodex oder ein Leitbild gibt es daher bei der Romantischen Straße nicht. Es wird durch einen regelmäßigen Austausch aller beteiligten Akteure ersetzt. Für den Chef-Romantiker ist ein Indianer an der Front nämlich genauso wichtig, wie jeder Tourismuschef.
„Jeder leistet seinen Beitrag. Jeder gehört zum Team.“ Deshalb wird größten Wert darauf gelegt im engen Schulterschluss weiter an der Marke zu arbeiten. Operativ als auch strategisch. Stärken und Schwächen werden stets offen und ehrlich, auch kontrovers diskutiert, wenn nötig. Jedes Mitglied hat unabhängig seiner touristischen Größe dasselbe Stimmrecht. Und es scheint zu funktionieren, denn Streit auf der Straße gab es hier noch nie.
Die Pandemie: Omikron und Overtourism
Das Virus hat auch die Ferienstraße Nummer 1 stark getroffen. Die Nächtigungen sind um die Hälfte zurückgegangen, der Auslandsmarkt ist komplett weggebrochen. Für eine Destination, die auf dem internationalen Parkett zu Hause ist, fatal. Wo auf den Straßen ihrer 29 Sehnsuchtsorte Japaner, Koreaner, Taiwanesen, Italiener und Nordamerikaner das Stadtbild prägten, herrscht seit den Virusvarianten gespenstische Ruhe.
Nur wenige Inlandstouristen können den herben Rückschlag zumindest ein wenig kompensieren. Von „Overtourism“ spricht plötzlich niemand mehr. Ganz im Gegenteil, Gastgeber, Leistungsträger und auch Einheimische wünschen sich IHRE Gäste plötzlich wieder zurück. Das Wort mit O war für den Chefromantiker schon immer ein rotes Tuch.
„Anwohner und Leistungsträger entlang der Romantischen Straße freuen sich, wenn Gäste aus der ganzen Welt bei uns Halt machen, übernachten, einkaufen oder essen.“ – „Es gibt kein Overtourism, sondern nur touristische Hochburgen, die zeitweise „overcrowded“ sind. Das ist ein Unterschied.“
Zukunftsetappe Digitale Romantik?
Faltplan oder Facebook? Tourist-Information oder Telegram? So viel steht fest: Der Chef-Romantiker ist kein Technikfreak. Er vertraut den ureigenen Stärken seiner touristischen Marke, die seiner Meinung nach, auch der Digitalisierungswahn nicht verändern kann. Das technische Portfolio hat und wird sich auf künftig erweitern, doch einen Stadtplan aus Papier wird es entlang der Romantischen Straße in seiner Amtszeit immer geben.
Nächster Halt: UNESCO
Ziele hat der Chef-Romantiker noch viele. Einen nächsten Zwischenstopp möchte er gerne bei der UNESCO einlegen, um seine Straße zum Weltkulturerbe zu machen. Unterstützt wird er dabei von der Deutschen Zentrale für Tourismus, der höchsten touristischen Dachmarke. Darüber ist er besonders stolz und witzelt gut gelaunt und euphorisch, dass er darauf hoffentlich schon im neuen Jahr mit der Leiterin Petra Hedorfer mit einem Bocksbeutel anstoßen wird. So wie es sich für einen waschechten Franken und Kollegen eben gehört.
Seine oberste Lebensaufgabe sieht er darin, seine Straße in den Köpfen und Herzen aller Besucher fest zu verankern. Von A bis Z. Vom Asiaten bis zum Zwischenstop-Urlauber.
Getreu Wilhelm von Humboldt „Im Grunde sind des doch die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.“
Impressum: Interview & Text: Kerstin Glowalla, Bilder: ©Romantische Strasse